
Freiwilligendienst in Japan: Erster Bericht von Paul Gerkens aus Twistringen
Ich bin Paul Gerkens, 19 Jahre alt, und mache einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) in Japan. Der erste Monat liegt nun hinter mir und ich blicke bereits auf unzählige Erfahrungen zurück, die ich in meinem Leben nie vergessen werde.
Angemeldet hatte ich mich für den IJFD vor einem knappen Jahr, bevor ich im Frühling mein Abitur am Hildegard-von-Bingen Gymnasium Twistringen machte. Und dennoch hatte ein Teil von mir nicht glauben wollen, dass es wirklich klappt. Solange nicht, bis ich endlich am Flughafen Tokyo Narita Fuß in dieses Abenteuer gesetzt habe. An der Stelle möchte ich mich auch bei den Mitgliedern meines Förderkreises bedanken, die dazu beigetragen haben, dass ich wirklich abreisen konnte: Bundestagsabgeordneter Axel Knoerig sowie Lambers & Ostendorf Ingenieure Barnstorf.
Dieses Jahr verbringe ich mit der Arbeit in einem Kindergarten eines kleinen Dorfes im Norden Japans, doch zunächst plante ich mit zwei anderen Freiwilligen meiner Ausreiseorganisation Internationale Jugendgemeinschaftsdienste Berlin (ijgd Berlin) einen Aufenthalt in der größten Stadt der Welt: Tokio.
Ich kann nicht in Worte fassen, was das für eine atemberaubende Reizüberflutung war. In diesen drei ersten Tagen in Japan habe ich so viel erlebt, wie man es woanders nur in einem Jahr könnte. Der erste „Kulturschock“ ereignete sich beim Aussteigen am Flughafen, als ich merkte, dass sich auf den Rolltreppen alle links einordneten und rechts überholten. Ein so winziges Detail, das ich für immer als ersten Japan-Moment in Erinnerung halten werde.
Nach dem 14h Flug von Frankfurt nach Tokio fuhren wir bei Sonnenuntergang mit dem Bus vom Flughafen in die Stadt hinein. Diese Stadt, die ich schon so viele Male in Filmen, auf Fotos und in meinen Träumen gesehen hatte, endlich mit den eigenen Augen zu sehen, war einfach wundervoll.
Wir bestiegen den Tōkyō Tower und den Tōkyō Skytree, von wo die Aussichten eine Stadt offenbarten, die sich bis in die Endlosigkeit des Horizonts hineinzog. Nur leicht ließen sich die fernen Berge als blaue Schimmer erahnen. Wir besuchten das knallbunte Akahibara sowie das belebte Shibuya mit der berühmten Shibuya Kreuzung und erkundigten in Shinjuku das Nachtleben der Stadt. Wir aßen Soba, Okonomiyaki und Sushi in Restaurants, snackten Onigiris und Mochis in den berühmten „Konbinis“ und probierten allerlei gegrillten und frittierten Fisch auf dem Tōkyō Fischmarkt. Wir besuchten eine japanische Karaoke und haufenweise Anime-Shops. Jede Kreuzung sah aus wie der Times Square. Neon-Lichter, Menschenmassen und die Japan-typischen oberirdischen Stromleitungen.
Dass man in so einer Stadt dann aber grüne Orte entdeckt, in denen sich die roten Tore der Shinto-Schreine oder die verzierten, geschwungenen buddhistischen Tempel befinden, mag man gar nicht glauben. Aber auch solche traditionellen Orte erkundeten wir zahlreiche. Und obwohl wir so viel getan, so viel gesehen haben, haben wir gerade mal an der Oberfläche dessen gekratzt, was diese Stadt zu bieten hat. Einer Sache bin ich mir daher jetzt schon sicher: Mein Weg führt nochmal nach Tōkyō, und das nicht nur zum Abflug. Dass ich vom Fenster aus beim Inlandsflug in die nördliche Stadt Sapporo dann noch den Fuji sehen durfte, war ein wunderschöner Abschied von der Metropole.
Unser Weg verschlug uns aber auf Japans nördlichste Hauptinsel: Hokkaidō. Ein Ort, wo es im Sommer auch mal 30 Grad, im Winter aber schnell mal -20 Grad werden kann. Als wir in der Großstadt Sapporo landeten, trennten sich nach und nach unsere Wege und wir fuhren in unterschiedliche Richtungen weiter.
Mein Mitfreiwilliger war aber am letzten Tag in Tōkyō dazugestoßen, also war ich nicht allein, als ich dann endlich am Ort meiner Einsatzstelle ankam. Der Zug brachte uns bis in die 18.000-Einwohnerstadt Fukagawa, wo uns mein Chef, gekleidet in seine Mönchsrobe, abholte und gleich zum Sushi-Essen einlud. Dann fuhren wir weiter in das 500-Einwohner Dorf Tadoshi, wo der „Tadoshi Hoikuen“ (Kindergarten Tadoshi) steht, der den Namen „Kazekko“ trägt.
Das Dorf ist winzig und aufgrund der japanischen Landflucht stetig am Schrumpfen. Junge Leute gibt es wenige und die meisten Kinder werden aus umliegenden Städten mit dem Bus hergefahren. Dennoch ist dieser Ort so wunderschön und japanisch, wie es nur geht. Gelegen in einer flachen Ebene, aber umgeben von Bergen, die sich am Horizont erheben. Kleine, bunte Häuser, die vertrauten japanischen Stromleitungen, einige Tempel und ganz, ganz viel Grün.
Dabei haben mein Mitfreiwilliger und ich selbst ein kleines Häuschen mit Küche und Bad, in dem wir leben. Sogar ein Auto kriegen wir gestellt, mit dem wir im 15 min entfernten Fukagawa einkaufen können. Das Linksfahren habe ich bisher ganz gut gemeistert.
Meine Arbeit hier besteht daraus, morgens im Kindergarten und nachmittags mal im Kindergarten und mal im nicht weit entfernten Hort zu helfen. Das heißt einerseits, viel mit den Kindern zu spielen, eine aufpassende Rolle einzunehmen und die Jüngeren unter ihnen auch zu waschen, wickeln und umzuziehen. Andererseits übernehme ich auch Haushaltsaufgaben wie Wäschewaschen, Auf- und Abräumen, Toiletten und Waschbecken putzen, Saugen usw.
Insgesamt arbeite ich von 9 Uhr morgens bis 18 Uhr abends und habe eine Stunde Mittagspause, womit ich auf einen 8-Stunden-Tag komme. Mittagessen gibt es vor der Pause aber zusammen mit den Kindern, sodass ich und mein Mitfreiwilliger uns nur Frühstück und Abendessen machen müssen. Frei habe ich sonntags sowie an einem anderen zugeteilten Wochentag, der nicht Samstag ist.
Dabei ermöglicht das Grundprinzip des Kindergartens jeden Tag neue Erlebnisse. Im Kazekko sollen Kinder nämlich wie Erwachsene behandelt und mit ihrem Einverständnis zusammen erzogen werden. Das heißt zum Beispiel keine gewaltvolle Sprache wie Befehle oder keine Zwänge, irgendwo dran teilzunehmen. Dass den Kindern jede Freiheit gelassen wird und es kein Bestrafungsprinzip (wie Schimpfen) gibt, war mir zunächst fremd, doch sehr schnell wurde ich zu einem großen Bewunderer dieser Methode. Die Kinder erlernen durch eigene Erfahrung, was ihnen und anderen guttut und schadet und können gleichzeitig ihr Kindsein ausleben.
Ein anderer Grundpfeiler ist das Prinzip „Growing Up Wild“. Die Kinder spielen bei Sonne und Regen, in Pfützen und Matsch. Mal wird zusammen im eigenen Garten gepflanzt oder geerntet, mal macht man einen Waldspaziergang oder fährt Kanu. Ich habe bereits gelernt, meine weiße Kleidung nur an freien Tagen zu tragen, denn wir als Erwachsene sind immer aktiv mit dabei, sei es im Matsch, Bach oder Feld. Die Freude der Kinder hebt dabei jeden Tag meine Stimmung. Auch im Hort wird viel unternommen. Ausflüge gibt es jede Woche und ansonsten wird vor Ort alles Mögliche gespielt.
Das, was meine Arbeit aber am schönsten macht, ist, wie sehr mein Mitfreiwilliger und ich in diese Gemeinschaft hier aufgenommen wurden. Die Tonohiras, denen der Kindergarten gehört, laden uns ständig zum Essen oder zum Baden in einem Onsen ein. Die Kolleginnen und Kollegen behandeln uns mit unvergleichbarer Freundlichkeit und die Kinder sind mir jetzt schon allesamt ans Herz gewachsen.
Ich kann es kaum erwarten, die Entwicklung der Kinder weiter beobachten zu dürfen. Im Kazekko sind sie im Alter von null bis sechs vertreten, was einen faszinierenden Überblick über die frühen Jahre eines Menschen offenbart. Diese Jahre sind so prägend und ich finde es einfach nur unglaublich, wie schnell Kinder lernen und ganz eigene Persönlichkeiten bilden.
Nun blicke ich auf diesen Monat zurück und frage mich, was in den kommenden elf noch alles passieren mag. Ich bin bereits so zufrieden mit der Situation und kann ganz ehrlich und aufrichtig sagen: Ich bin angekommen.